AUSZÜGE aus " Die Unterstützung der elektronischen Industrie"
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durch G.Jungnickel
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Die
Beschaffung von Informationen auf dem Gebiet der
Elektrotechnik/Elektronik stand auf der Prioritätenliste
der Wissenschaftlich-Technischen Aufklärung der HVA [weiter WTA] von
Anfang an ganz vorn. Die elektrotechnische Industrie auf dem Gebiet der
DDR hatte einen hohen Stellenwert. ...
Das Ziel bestand in der Unterstützung
ihrer Entwicklung, der Erhöhung ihrer Produktivität und Effektivität
sowie ihrer Orientierung auf neue Entwicklungsrichtungen und
Erzeugnisse.
Unsere Zielobjekte waren vor allem die führenden
Konzerne der Branche in der Bundesrepublik Deutschland, in den USA und
Japan. In den ersten Jahren der Arbeit ging es vor allem darum, in
diesen Objekten Fuß zu fassen und Positionen aufzubauen, die in späteren
Jahren wirksam werden konnten. ..
Mitte der 60er Jahre rückten
die Elektronik und die elektronische Datenverarbeitung, später die
Mikroelektronik, ins Zentrum der Wirtschaftspolitik der DDR und damit
auch der Informationsbeschaffung der WTA.
I.
Die elektronische Datenverarbeitung
…Der R 300 wurde ab 1967 produziert. Sein technisches Niveau reichte
jedoch nicht aus, ihn zu einem international vergleichsfähigen
elektronischen Rechnersystemen zu entwickeln.
Das zu jener Zeit von der Partei- und Staatsführung
beschlossene Datenverarbeitungsprogramm orientierte auf die Herstellung
leistungsfähiger .. Digitalrechner einschließlich der kompletten
Betriebssystem-Software. Bei der Durchsetzung dieses Programms waren
die DDR-Kapazitäten auf sich angewiesen, weil alle Versuche zur Nutzung
international vorhandener Lösungen an der Embargo-Politik der
westlichen Länder scheiterten.
Der VEB Elektronische Rechenmaschinen
Karl-Marx-Stadt wurde mit den Hauptentwicklungen beauftragt…In der
vorgegebenen Frist war es nicht möglich,
gleichzeitig die umfangreichen konzeptionellen und technischen
Entwicklungen von Software, Geräten und Technologien zu leisten, ohne
dass Hilfe von außen in Anspruch genommen worden wäre.
Die entscheidende Unterstützung
kam vom Sektor Wissenschaft und Technik der HV A. Uns war es gelungen,
Mitte der 60er Jahre im führenden EDV-Unternehmen der Welt, dem
USA-Konzern IBM (International Business Machines), eine Quelle an einer
für die EDV-Entwicklung entscheidenden Position zu schaffen.
Dadurch war es möglich,
dass ab 1966 über viele Jahre hinweg Entwicklungsdokumente von IBM
unmittelbar nach ihrer Verfügbarkeit in die DDR gelangten und für die
Eigenentwicklung ausgewertet und aufbereitet werden konnten. Es begann
mit den Dokumentationen des IBM-System 360, Modell 40, aus der
IBM-Modell-Reihe 360 vom Klein- bis zum Großrechner.
Über diesen Kanal hatten wir einen kontinuierlichen Informationsfluß,
so dass die wenigen Mitarbeiter von SWT [Sektor Wissenschaft und
Technik] kaum mit der Bearbeitung des noch in Papierform
bereitgestellten Materials nachkamen. Wir mussten insbesondere die
Herkunft des Materials »neutralisieren«, um unsere Quelle zu schützen,
ehe wir die Papiere weitergaben. In der Industrie wurde begonnen,
hauptamtliche Auswerter einzusetzen. Sie erhielten die Aufgabe, die
Dokumente zu sichten und systemgebunden aufzubereiten. …
Der Umfang der Dokumentationen war beträchtlich.
Bereits die Anwenderdokumentationen .. der Rechenanlage füllten mehrere
große Aktenschränke. Entwicklungsdokumentationen waren mehr als
zwanzigmal so umfangreich. [Zusammenhänge der einzelnen Dokumente waren
jedoch nicht sofort offensichtlich]. Dennoch
vervollständigte sich nach wenigen Wochen das Zusammenhang- Wissen
erheblich, so dass sich zunehmend das Gesamtbild für eine gezielte
Nachentwicklung abzuzeichnen begann. Unser großer Vorteil bestand darin,
dass die Quelle bei IBM gezielt nach unseren Wünschen an der
Vervollständigung des Materials arbeitete.
...
Nach zwei Jahren begann IBM die Entwicklungsunterlagen auf Mikrofiches
zu dokumentierten. Das erleichterte uns die Arbeit. ..
Der Arbeits- und Zeitaufwand zur Bearbeitung konnte nunmehr erheblich
reduziert werden.
..
Nach einer mehrtätigen
Klausurtagung [ca. Ende 1967] entschieden die EDV-Fachleute, alle Kraft
in der DDR bei der elektronische Datenverarbeitung auf die
Nachentwicklung des IBM-Systems 360 zu konzentrieren
[das zukünftige Projekt R400, weitergeführt in ESER/Reihe 1 als EC 1040
]. Diese Festlegung löste
erneut viele Informationswünsche an die Quelle bei IBM aus. Besonders
die Software für das Betriebssystem stand sofort im Mittelpunkt des DDR-
Wunschprogramms. Den Experten der DDR war klargeworden, dass nicht
einmal alle Programmierer und Mathematiker aller sozialistischen Länder
ausreichen würden, um in vertretbarer Zeit ein Betriebssystem
eigenständig zu entwickeln.
Etwa zur gleichen Zeit begannen
auf bilateraler staatlicher Ebene
Abstimmungen, wo eine gemeinsame und einheitliche Entwicklung eines
EDV-Systems beschlossen wurde. In den vielseitigen
bilateralen
Abstimmungen unter sowjetischer Federführung waren die durch die
umfangreichen SWT-Unterstützungen gut vorbereiteten und umfassend
informierten Fachleute und Auswerter der DDR vertreten, Sie brachten
die entscheidenden Beiträge für die System Konzeption ein.
Im Ergebnis der sehr prinzipiell geführten
Abstimmung wurde die von der DDR vertretene EDV-Konzeption aufgegriffen,
weil sie sich am Primus der Branche orientierte und von der DDR bereits
wichtige Vorleistungen erbracht worden waren.
[siehe
Interview zur ESER- Startperiode
mit Dr. M. Günther].
…
Für
SWT ergab sich [aus dem Start der ESER- Arbeiten] ein wesentlich
erweitertes und komplizierteres Unterstützungsprogramm durch die
operative Aufklärung. Einerseits mussten die
Hardware-Weiterentwicklungen, insbesondere die Weiterentwicklung des
IBM-System 370 verfolgt werden, und andererseits wurde die
Nachentwicklung des Betriebssystems OS-MVS (Operating System für
maschinelle virtuelle Systeme) zum absoluten Schwerpunkt.[Gesamtübersicht
der DDR- Betriebssysteme_ ]
Dazu mußte
der Source-Code, die Quellcode des Systems, besorgt werden. Der
Quelltext ist der lesbare, in einer Programmiersprache geschriebene
Text eines Computerprogramms. Er ist
das best gehütetste
Geheimnis jeder Software-Entwicklung und wird unter strengstem Verschluß
mit zusätzlicher personengebundener Zugangserfassung gehalten. Wir
waren allerdings nicht die einzigen, die sich dafür interessierten. Wie
uns Quellen bei Siemens und Fujitsi informierten, waren auch diese
Konzerne dabei, die IBM-Betriebssystemsoftware zu knacken. Erfolglos.
Das bewiesen die Entwicklungsarbeiten von Siemens und Fujitsu zur
Entwicklung des Betriebssystems 3000, welche schon nach etwa zwei Jahren
gescheitert waren. Das vorhandene Betriebssystem 2000 wurde daraufhin
mit Siemens EDV-Anlagen fast nur auf dem westdeutschen Markt und das
auch nur durch die Unterstützung der staatlichen Lobby weiter zum
Einsatz gebracht.
Es dauerte eine gewisse Zeit, bis unsere
Quelle das IBM-Datenverarbeitungsbetriebssystem unbemerkt kopieren
konnte. Viele Legenden waren notwendig und die Zählwerke
am Computer und an der Magnetbandeinheit mussten für den
Kopierzeitraum außer Betrieb gesetzt werden, damit niemand im
IBM-Konzern mitbekam, was hier geschehen war. Zwölf große und
hochdichte Magnetbändern konnte wir unserer Industrie zur
Betriebssystementwicklung übergeben.
Weiterhin beschafften wir umfangreiche
Entwicklungsinformationen zum IBM-System 370 und erste Magnetbänder
mit dem aktuellen IBM-Betriebssystem. Aus den Erkenntnissen wurden die
Hardware-Forderungen für die DDR-Industrie abgeleitet, insbesondere zur
Entwicklung der erforderlichen integrierten Logik- und Bauelemente.
In einer in Karl-Marx-Stadt neu errichteten
Entwicklungsstelle des Kombinats Robotron wurden Ende der 60er Jahre
alle technischen Voraussetzungen für
die entwicklungsseitige Übernahme des IBM-Betriebssystems geschaffen.
Dazu gehörten vor allem ein IBM-System 360 mit umfangreicher Peripherie,
darunter eine Magnetbandeinheit mit 6.250 bpi (später im Kombinat Carl
Zeiss Jena hergestellt), Wechselplattenspeicher mit 100 MB-
Wechselplatten von CDC (Control Data Corporation, USA), die später mit
60 MB-Kapazität in Bulgarien produziert wurden, sowie eine große Anzahl
von Monitoren.
Die Nachentwicklung vollzog sich so: In
einem Robotron-Rechenzentrum wurden die IBM-Daten von den Magnetbändern
auf Wechselplatten überspielt. Dann holten
sich [speziell verpflichtete] Auswerter die IBM-Daten in Schritten auf
ihren Monitor. Sie
änderten die spezifischen IBM-Erkennungsdaten
in Robotron-Daten mit gleicher Wortlänge um, fertigten eine Beschreibung
der erkannten Programmfolge und speicherten das Ergebnis als
Robotron-Entwicklung. Dieser Vorgang wiederholte sich so oft, bis das
„eigene Betriebssystem“ in der verfügbaren Version komplett war.[Diese
Arbeiten führten zunächst zu
einem neutralisierten „Ausgangs- System“, das war keinesfalls das
vertriebsbereite ESER-OS!] .
Diese Arbeiten wurden von SWT laufend durch
aktuelle Software-Informationen unterstützt.
Die ständige Aktualisierung durch uns erfolgte bis zum Ende der 80er
Jahre.
…..
Welchen Wert diese SWT-Unterstützung
für die DDR-Wirtschaft hatte, wurde offensichtlich, als Unterlagen aus
einem Prozess »CDC gegen IBM« vorlagen, der 1970/71 stattfand. Daraus
wurde ersichtlich, dass IBM etwa zwei Milliarden Dollar Gesamt- Kosten
für diese Entwicklung aufgebracht hatte, wobei etwa die Hälfte davon in
Vorhaben gesteckt wurde, die sich als Fehlentwicklungen erwiesen.
Die DDR investierte in die Adaption des
Betriebssystems etwa 200 Millionen DDR-Mark. Daraus ist ersichtlich,
welch hoher
ökonomischer Nutzen die operative Tätigkeit
des Sektors Wissenschaft und Technik gebracht hatte. Die DDR allein
hätte es ohnehin nicht vermocht, die immensen Kosten aufzubringen, die
IBM investiert hatte.
Die Produktion des Robotron R 40 wurde Ende
der 60er Jahre in Dresden vorbereitet. Von 1973 bis 1979 wurden etwa 470
Stück
gefertigt. Dabei zeigte sich, daß neue Erfordernisse im Änderungsdienst,
anders als es bisher in der DDR üblich war, notwendig wurden.
Aus IBM-Informationen wurde bekannt, dass
entwicklungs-bedingte
Änderungen an Produkten innerhalb des
IBM-Konzerns in einer Stunde bereits weltweit produktionswirksam waren.
Was lag also näher, als sich in die Übermittlung der Änderungsdaten
einzuklinken. ..
Nach dem Produktionsbeginn der EDV-Anlage EC 1040 ..erwirtschaftete
Robotron
einen jährlich wachsenden Gewinn
Ein EC 1040 ging sogar an den Computer-Hersteller CDC in den USA. CDC
kaufte den EC1040 von Robotron ohne Betriebssystem. Eine Quelle
berichtete, daß CDC ein gekauftes IBM-Betriebssystem auf der
Robotron-Anlage auf seine Lauffähigkeit testen wollte. Das
funktionierte, natürlich. Es wäre zwar ein wenig langsamer als das
Original von IBM gelaufen, was der DDR-Hardware zugeschrieben wurde.
Aber es lief.
Es war abzusehen, dass diese Nachricht branchenintern in den USA
verbreitet werden würde. Wir mussten darum unsere beiden Spitzenquellen
bei IBM für einige Monate stilllegen, um sie nicht zu gefährden. Die
eigenen Arbeiten in der DDR störte dies zu jenem Zeitpunkt nicht
wesentlich. |
Der Vorrang der MikroelektronikDer EinstiegDie Unterstützung der Entwicklung mikroelektronischer Bauelemente in der DDR durch den Sektor Wissenschaft und Technik sollte sich als die größte operative Herausforderung für die Wissenschaftlich-Technische Aufklärung erweisen. Die führenden Unternehmen auf diesem Wissenschaftsgebiet befanden sich in den USA und in Japan, also in Übersee und damit weit außerhalb unseres bisherigen Hauptoperationsgebietes Westeuropa. Hinzu kam, daß - im Unterschied zur EDV-/PC-Technik, wo Entwicklung und Produktion weit gestreut und an vielen Orten aufklärbar waren - hier eine punktgenaue operative Ortung erforderlich war, um auf Technologien, Musterbauelemente und Herstellungsgeräte zugreifen zu können. Das erhöhte die operative Anforderungen und auch Aufwendungen. Die Analyse zeigte, daß sich in den Vereinigten Staaten die entscheidenden Entwicklungen bei den integrierten Mikroprozessorbauelemente vollzogen, während man sich in Japan auf die Mikrominiaturisierung in der Herstellungstechnologie konzentrierte. Das betraf insbesondere passive Chipbauelemente und Speicherschalt-kreise. Die Entwicklung der Mikroelektronik in der DDR begann mit der Transistortechnik Ende der 50er Jahre und der Gründung der ersten Halbleiterfabrik in Markendorf bei Frankfurt/Oder. ….. Der Mikroprozessor U 880Mitte der 70er Jahre drängte die Einführung der Personal-Computer-Technik, um vor allem die traditionellen Maschinen-, insbesondere Werkzeugmaschinenexporte der DDR international wettbewerbsfähig zu halten. Das Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik stellte daher die Aufgabe, im Kombinat Mikroelektronik die erforderlichen Mikroprozessoren zu entwickeln. Der 1977 auf dem 6. ZK-Plenum gefasste Beschluss, auf den bereits verwiesen wurde, führte dazu, die Entwicklungsarbeiten auf allen damit verbundenen Gebieten zu forcieren. Wir beschafften Entwurf und Technologie der Mikroprozessoren INTEL 8080 und ZILOG Z 80 aus dem kalifornischen Silicon Valley. Es erwies sich als günstig, dass das Territorium, in dem die weltweit führenden amerikanischen Mikroelektronik-Experten angesiedelt waren, sehr überschaubar war. Bei einem Firmenwechsel mussten sie nicht einmal umziehen. Für langfristig angelegte operative Maßnahmen waren das ideale Voraussetzungen. Unter Ausnutzung dieses Umfelds konnten operativ wichtige Schlussfolgerungen für Nachentwicklungen ausgereifter Mikroprozessor-Schaltkreise in der DDR gezogen werden. Es wurden schließlich in rascher Folge 8-bit-Mikroprozessoren von ZILOG, wie der Z80, und INTEL mit den Reihen 8008, 8080 bis 8086 und 8088 bis zum 16 bit-Mikroprozessor INTEL 80286 angeboten werden. Für die DDR-Entwicklungskräfte im Funkwerk Erfurt war es aufgrund dieser Vielfalt der Mikroprozessorlösungen jedoch außerordentlich problematisch, die Vor- und die Nachteile der einen oder der anderen Lösung zu erkennen. Erst Klausurtagungen unter Einbeziehung der Auswertungsergebnisse aus den von SWT übergebenen Dokumenten führten zu der damals richtigen Entscheidung zugunsten des Z80. Mit einer der US-Technologie angepassten DDR-Herstellungsvariante gelang der Nachbau des Z 80. Er wurde als erster DDR-Mikroprozessor mit der Bezeichnung U 880 auf den Markt gebracht. Die DDR gehörte damit zu den ersten Herstellern von Mikroprozessoren in Europa. Vermutlich waren wir überhaupt die ersten auf dem Kontinent. Wir wussten nicht, wie weit die Sowjetunion war, und der in Westeuropa führende Halbleiterhersteller Siemens bot noch keine Mikroprozessoren an. Das Erfurter Entwicklungsergebnis trug sofort dazu bei, die PC-Produktion im thüringischen Büromaschinenwerk Sömmerda kontinuierlich zu steigern. Nach der Inbetriebnahme einer neuen Chipfabrik im Kombinat Mikroelektronik konnten bald jährlich rund 150.000 PC ( ?) produziert werden. Die DDR und die Sowjetunion waren die einzigen RGW-Länder, die in dieser Halbleiterentwicklungslinie tätig waren. Aufgrund des Embargos gegenüber den sozialistischen Ländern bestand im RGW große Nachfrage nach dem U 880, insbesondere von Bulgarien, wo es eine PC-Fertigung gab. Aus dieser Monopolstellung konnten wir nicht viel machen. Die Produktionskapazitäten im Funkwerk Erfurt blieben begrenzt, weil die nötigen Investitionen zur Erweiterung nicht kamen. Das operativ beschaffte Technologieniveau mit Entwurfsdokumenten gestattete es zwar, die EDV-Logikelemente höher zu integrieren und beispielsweise mit Hilfe eines Schachgroßmeisters der DDR einen ersten Schachcomputer in der DDR herzustellen. Doch die notwendige Massenproduktion der PC-Bauelemente blieb hinter der Nachfrage zurück. Ende der 80er Jahre begann der Übergang zur 16-bit-Mikro-prozessorlinie. Als Zieltyp der Entwicklung wurde der INTEL 80286 ausgewählt, weil von dort die besten Ergebnisse bekannt wurden. ZiLOG war 1980 an Exxon verkauft worden und damit als Hersteller von Mikroprozessoren untergegangen. Das neu im Geschäft aufgetauchte US-Unternehmen Advanced Micro Devices (AMD) brachte lediglich INTEL-Entwicklungen zeitverzögert auf den Markt.Trotz knapper Valuta-Kassen wurde die operative Beschaffung für Entwicklungsdokumentationen aufgenommen. Im Entwicklungsplan der DDR-Halbleiterindustrie war [auch]der Coprozessor von INTEL für schnellere mathematische Berechnungen vorgesehen. Es war jedoch nicht möglich, operativ ein geschlossenes Paket von Technologie und Entwurf zu beschaffen. INTEL hatte die Sicherheitsvorkehrungen offensichtlich wegen der AMD-Konkurrenz ganz wesentlich verschärft. So blieben die unterstützenden Maßnahmen zunächst auf die Bereitstellung von technologischen Teilen und eines Rasterelektronenmikroskops beschränkt. Jedoch gelang die Beschaffungen von Entwicklungsmustern der 16-und 32-bit-Reihe, 80286 und 80386 sowie 80486. Dieser 486er war eine Weiterentwicklung des 386-er und der letzte Prozessor, der in seinen ersten Baumustern noch ohne aktive Kühlung auskam. Entsprechend dimensioniert war die Gehäuselüftung.Aufgrund dieser Probleme bei der Entwicklungsunterstützung mußten die Strukturen der Schaltkreise Mikrometer für Mikrometer abgetragen und mit dem Rasterelektronenmikroskop rekonstruiert werden, was zeitlich aufwendig war, aber zum Erfolg führte. Das Fehlen einer neuen Fabrik für dieses Technologieniveau, weil die Investitionsmittel fehlten, bereitete weitaus größere Schwierigkeiten. Bei den technischen Untersuchungen des INTEL 80486 erkannten die Fachleute im Funkwerk Erfurt, dass aufgrund der erforderlichen hohen Elektronenströme die physikalischen Grenzen der minimalisierten Leiterbahnen erreicht waren. Ohne Kühlung des Mikroprozessors waren die bei der Betriebswärme steigenden Widerstandswerte nicht zu beherrschen. Man begann sich Gedanken zu machen, diese Grenze zu überwinden…. Nach 1990 war der Bundesnachrichtendienst sehr daran interessiert zu erfahren, wie es möglich gewesen sei, dass man in der DDR schon über Muster des INTEL 80486 verfügte, während man in der BRD nicht einmal dessen Bezeichnung kannte. Die SpeicherschaltkreisentwicklungDas Mikroelektronik-Programm forderte die Entwicklung von Speicherschaltkreisen, die ebenso wie Mikroprozessoren für breite Industrie-Anwendungen nötig waren. Die Entwicklungs- und Produktionsvoraussetzungen waren mit der Bildung des Kombinates Mikroelektronik in Erfurt mit einigen Halbleiterfabriken geschaffen worden. Zu diesen neuen Strukturen gehörte auch das Halbleiterwerk Frankfurt. In Dresden- Klotzsche wurde ein modernes Zentrum für Forschung und Technologie der Mikroelektronik (ZFTM) errichtet, um dort die nächsten Generationen von Schaltkreisen zu entwickeln. Es entstand im Bereich der ehemaligen Flugzeugwerft und des Instituts für Automatisierungstechnik. Zu diesem moderner Komplex gehörten ein Halbleiter- Entwurfszentrum, die Technologie-Entwicklung und erste Produktionsstätten unter höchsten Automatisierungs- und Clean- Room- Bedingungen. Das ZFTM wurde dem Kombinat Carl Zeiss Jena zugeordnet, welches hoch integrierte Speicherschaltkreise aus Dresden forderte. Die Forderung lautete, 1988 einen 1-Megabit-DRAM (dynamischer Schreib- und Lesespeicher) und einen 250-Kilobit-SRAM {statischer Schreib- und Lesespeicher) in die Produktion zu überfuhren. Beide Schreib- und Lesespeicher-Schaltkreise waren auf gleich hohem Technologieniveau herstellbar. Sie unterschieden sich lediglich in der Zugriffsgeschwindigkeit auf die Daten. Der schnellere, statische RAM hatte einen höheren Leistungsdurchsatz und konnte daher nur eine um eine Stufe geringere Speicherkapazität realisieren. Er war jedoch für schnelle Steuerungsprozesse erforderlich. Die in der vorgegebenen Zeit möglichen Entwicklungen und Produktionsvorbereitungen waren in Dresden beim 256-KB-DRAM erschöpft, weil sich danach völlig neue Dimensionen auftaten. So lag auf der Hand, daß Dresden durch den Sektor Wissenschaft und Technik unterstützt werden mußte, um die Zielstellung im ZFTM zu erreichen. Das auf diesem Gebiet führende Unternehmen war der Toshiba-Konzern in Japan, der gerade die für die DDR-Zielstellung vorgesehenen DRAM und SRAM mit einer einzigartigen Technologie realisiert hatte. Durch eine unserer Quellen bei Siemens wurde bekannt, daß auch der Siemens- Konzern seit geraumer Zeit als einziges Technologieunternehmen in Westeuropa an dieser Aufgabe arbeitete. Da aber Siemens ähnlich wie das Dresdner Zentrum für Forschung und Technologie nicht so recht vorankam, hatte sich Siemens wegen der Bedeutung dieser Bauelemente dafür entschieden, die relativ teure komplette Produktionslizenz bei Toshiba zu erwerben. Die DDR partizipierte sofort von diesem Einkauf. Alle Unterlagen, die bei Siemens zur Lizenznahme gehörten, gelangten in ihrer Originalfassung aus dem Siemens-Einwicklungszentrum in den Besitz der DDR. Der Aufbau von operativen Verbindungen im oder zum Toshiba-Konzern wären erheblich riskanter und die Zeitvorgaben für die Entwicklung kaum einzuhalten gewesen. Die Technologie war das entscheidende Problem, denn der Schaltkreis war durch die gleichmäßigen Strukturen nicht so kompliziert zu enträtseln. Allerdings mussten auch Ausrüstungen für die Herstellung der Strukturen beschafft werden. Die besondere Leistung der DDR-Technologen bestand nun darin, die beschaffte Technologie an den in der DDR vorhandenen Ausrüstungspark in der Mikroelektronik anzupassen. Und es gab einen Zeitfaktor für die Technologiedurchläufe im ZFTM. Erst jeweils nach drei Monaten konnte festgestellt werden, ob nur Ausschuß oder funktionsfähige Chips auf der Siliziumscheibe waren. Nach Fehlversuchen wurden die Durchläufe variiert und zeitversetzt gestartet, um Zeit zu gewinnen. Trotzdem war der Termin für die Übergabe des ersten funktionsfähigen 1-Megabit-Speicherschaltkreises an den Generalsekretär des ZK der SED bereits festgelegt. Das war der 12. September 1988. Es gelang, funktionsfähige Chips rechtzeitig herzustellen. Ein unerwartetes Problem mit dem Chip-Gehäuse wurde durch eine operative Sofortaktion mit einem bei Siemens genutzten Gehäuse noch in letzter Minute gelöst. Die Bemühungen des Verfassungsschutzes der BRD, nach 1990 über ehemalige Mitarbeiter des Sektors Wissenschaft und Technik herauszufinden, wie die Siemens-Technologieunterlagen in die DDR gelangt waren, verriet uns, dass dort die Zusammenhänge zwischenzeitlich aufgearbeitet worden waren. Die Beschaffung von Spezialausrüstungen für die MikroelektronikUm in der elektronischen Industrie in möglichst kurzer Zeit ein hohes, international vergleichbares Technologie-Niveau zu erreichen, war eine große Anzahl unterschiedlicher Spezialausrüstungen erforderlich. Für ihre Bereitstellung aber fehlte es in der DDR einerseits an eigenen Kapazitäten, andererseits verhinderte die westliche Embargo-Politik deren Erwerb auf dem Weltmarkt. Der dafür zuständige Außenhandelsbetrieb konnte jedenfalls nicht in vollem Umfang seinen Auftrag realisieren. Obwohl es nicht ihrer spezifischen Aufgabenstellung entsprach, stellte sich die Wissenschaftlich-Technische Aufklärung die Aufgabe, durch ihre Unterstützung einen Beitrag zur Lösung dieser Probleme zu leisten. Nach internen Vorbereitungen wurde mit dem Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik vereinbart, dass wir in die Beschaffung einbezogen wurden. Ab Ende der 70er Jahre nutzten wir dafür vorhandene operative Verbindungen oder entwickelten neue. Schwerpunkte waren zunächst die Bereitstellung geeigneter leistungsstarker Computer mit hoch auflösenden großen Bildschirmen und Plottern für den Schaltkreisentwurf in den Entwicklungsbereichen der Halbleiterwerke des Kombinates Mikroelektronik [G.J.: d.h. 32-bit Computer VAX 750 /780 ] . Im Halbleiterwerk Frankfurt/Oder wurden bald »Sun-Rechner« eingesetzt. Für andere Standorte im Kombinat Mikroelektronik und dem ZFTM in Dresden wurde eine Vielzahl von Mini- und Mikrocomputer unterschiedlicher Konfigurationen einschließlich der entsprechenden Betriebssysteme der verschiedenen Firmen bis zu den modernsten und größten VAX-Rechnern (u. a. VAX 8600) der Firma Digital Equipment Corporation beschafft. Aber auch umfangreiche Ausrüstungen für den unmittelbaren Produktionsprozeß der Mikroelektronikbetriebe in Frankfurt, Erfurt und Dresden wurden besorgt. Dazu gehörten vor allem Justier- und Belichtungseinrichtungen für die Strukturierung der Siliziumscheiben, Plasma- Ätzer und Diffusionsanlagen sowie Automatik- Bonder für die Verbindung der einzelnen Chips zum Gehäuserahmen und der automatischen Verdrahtung von Chip und Gehäuseanschlußbeinen mittels Edelmetallfäden. Als für das Technologieniveau des 1 -Megabit-Speicherschaltkreises und des 16-bit-Mikroprozessors die aus der UdSSR bezogenen Ausrüstungen für die chemischen Bearbeitungstechnologien und die Ionen- Implantation nicht mehr ausreichten, um eine Massenproduktion zu erreichen, stand Ende der 80er Jahre die Herausforderung vor uns, mindestens einen Hochenergie- Ionen-Implanter zu beschaffen. Das war notwendig, um die neu entworfenen Strukturen und Dotierungen auf dem Silizium-Wafer realisieren zu können. Um die Dimension dieser Aufgaben zu verdeutlichen, sei darauf hingewiesen, dass diese Anlage strengsten Embargobestimmungen unterworfen war. Weltweit gab es nur drei Hersteller, und der potentielle Käuferkreis beschränkte sich auf wenige Konzerne. Mit Hilfe komplizierter operativer Kombinationen gelang es uns, über Zwischenstationen in Drittländern und hohen finanziellen Aufwendungen 1989 zwei solcher Anlagen der amerikanischen Firma Eaton zu beschaffen. Zu einer Inbetriebnahme in Dresden kam es aufgrund der politischen Ereignisse in der DDR jedoch nicht mehr. Auch die im Kombinat Carl Zeiss Jena getroffenen Vorbereitungen für den Nachbau dieser Spezialausrüstung waren damit hinfällig. Der Sektor Wissenschaft und Technik der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS hat mit dieser Art der Unterstützung in den 80er Jahren in wichtigen Abschnitten der Mikroelektronik der DDR die Sicherheit und das Tempo der Entwicklung außerordentlich positiv beeinflußt. Die beschriebenen operativen Beschaffungen widerspiegeln allerdings nur einen Teil der der Industrie zugeführten Menge an technologischen Spezialausrüstungen. Die Finanzierung dieser Beschaffungen erfolgte ausschließlich über die betreffenden Bedarfsträger, das Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik oder den Bereich Kommerzielle Koordinierung des Ministeriums für Außenhandel (KoKo). Finanzielle Mittel des MfS standen für solche Vorhaben in keinem Fall zur Verfügung |