Arbeit mit Prototyp-Unterlagen
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Vorgeschichte der IT der DDR vor 1970
Zur ESER- Startperiode UdSSR/DDR
Systementwurf und Technologie
Wirtschaftlichkeit des ESER
Arbeit mit Prototypunterlagen
Zwei Architekturlinien
 
 

Zur Unterstützung ..mit "Prototyp" - Unterlagen durch die HVA des MfS

 

Die Geschichte des ESER ist die Geschichte der elektronischen Datenverarbeitungs- Industrie der RGW/ ESER- Staaten und die Geschichte hoher Leistungen vieler Menschen und guter wirtschaftlicher Ergebnisse.

 

Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des ESER für die DDR und die anderen Teilnehmerländer des
„Abkommens über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Entwicklung, Produktion und Anwendung von Mitteln der Rechentechnik“ vom 23.12.1969, (MRK - ESER- Vertrag) war außerordentlich hoch (siehe u.a.  Wirtschaftlichkeit des ESER). Daher war eine von
äußeren Einflüssen und Störversuchen unabhängige und nachhaltige stabile Entwicklung extrem wichtig. Daher sind die nachfolgenden Informationen darüber, wie das erreicht werden konnte, für viele Leser wahrscheinlich besonders aufschlussreich.

 

Die ESER- Geschichte steht eindeutig und unweigerlich unter den Rahmenbedingungen der  historischen  Systemkonfrontation Ost-West,   des "Kalten Krieges". ESER war ein in dieser Dimension einzigartiges Projekt der länderübergreifenden Entwicklung und Anwendung mehrerer mit den weltweit führenden Systemen IBM /360 /370 kompatibler EDVA- Reihen als Prototyp. Mit der Unterzeichnung des MRK- Abkommens wurde diese Prototyp- Orientierung  eine regierungsamtlich implizierte Strategie und  bis 1990 verfolgt.

  

Es ist allen Fachleuten klar, dass diese Vorgehensweise nur mittels Verfügbarkeit vielfältiger Informationen zum Prototyp erfolgreich und mit  Gewinn im Entwicklungs- und Anwendungsprozess möglich war. Allerdings blieb die Art der Informationsquellen für die Entwicklung der Systeme lange Zeit im Dunkel autorisierter Publikationen, d.h. solcher Personen, die die tatsächlichen Fakten kennen.

 

Die Darstellung der ESER- Geschichte, wie auch vieler anderer Wirtschaftszweige der DDR bzw. des RGW, wäre ohne die Darstellung der Unterstützung durch Bereitstellung verschiedenartigster Unterlagen aus westlichen Industrieländern bzw. führenden Welt- Konzernen durch Spionage- bzw. Aufklärungs-Methoden nicht vollständig. Würden also dazu im Rahmen dieser WEB- Site keine Aussagen gemacht, könnte der Leser den Eindruck gewinnen, dass auch ca. 20 Jahre nach Abschluss der ESER- Aktivitäten diese Seite der Tätigkeit vorsätzlich verschwiegen bzw. in ihrer Bedeutung negiert werden soll.

 

Die Diskussion und Aufarbeitung dieses Themas ist aber für die weitgehend objektive Bestimmung der Leistungen der Mitarbeiter der DDR- Computerindustrie durchaus wichtig. Trotz sachlicher Gegenargumente wird auch heute noch in der offiziellen BRD- Politik und durch  bestimmte Vertreter der Fachwelt der Wert der Arbeit der  DDR- Wissenschaftler und Ingenieure nach wie vor einseitig, abwertend und ethisch missbilligend dargestellt. Unter Verweis auf die Bereitstellung verschiedenartiger Unterlagen durch Spionage- bzw. Aufklärungs-Methoden wird in derartigen  Publikationen ohne sachliche Kompetenz  oder wider besseres Wissen von "minderwertigen Plagiaten", "schlechten Nachbauten" , "gestohlenem geistigen Eigentum" u.a. gesprochen. Zur "öffentlichen Aufklärung" dieses Feldes der Diffamierung der Eigen- Leistungen der Software- und System- Entwickler, Konstrukteure und Technologen - soll hier ein Beitrag geleistet werden.

 

Diese "öffentliche Meinung" - sie wurde im Zuge der "ideologischen Wertungen" über die DDR mit Freude durch bestimmte Kreise gezielt verbreitet- kann nur durch  Sachlichkeit, Faktenwissen und Darstellung der historischen Realität in der Phase des "kalten Krieges" korrigiert werden. Ein  Verweis darauf, dass eine Architektur patentrechtlich nicht schutzfähig ist oder darauf, dass die IBM Architektur auch in vielen EDV- Systemen westlicher Firmen kopiert wurde, greift hier sicher zu kurz.

 

Das "Prototyp- Thema" ist heute - im Jahre 2008 - besser zu diskutieren, da dazu auch eine Reihe von Primärinformationen durch Publikationen von Mitarbeitern der Strukturen der "wissenschaftlich- technischen Aufklärung der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA)" des MfS der DDR und von anderen Wissensträgern öffentlich sind.  Auch die juristische ( Nicht-) Verwertbarkeit entsprechender Tätigkeiten unter den Bedingungen der BRD- Gesetzgebung ist heute eindeutig.

Grundsätzlich kann man zunächst feststellen, dass es zu den IBM/ 3XX- Systemen für die DDR- Entwickler verschiedene "Primär"- Informations- Quellen für System- und Detailwissen  gab:

  • öffentliche Publikationen,

  • im internationalen Handel (korrekt) importierte EDVA - Systeme und Komponenten (in durchaus bemerkenswertem Umfang!)

  • durch Spionage- bzw. Aufklärungs-Methoden erhaltene Informationen und Produkte.

In der nationalen Entwicklungsarbeit und mehrseitigen ESER - Arbeit wurden aus diesen Quellen, über welche zum Teil nur einzelne Länder verfügten, und aus dem technischen Umfeld der UdSSR- (Militär-) Industrie und teilweise aus den technischen Standards anderer Teilnehmerländer abgeleitet: 

  • die mehrseitig abgestimmten  ESER- Systemvorschriften und Standards (Speziell die ESER- Systemvorschriften und Standards hatten eine extrem hohe restriktive Kraft im RGW - Export der Länder in die UdSSR), sowie

  • alle jeweils nationalen Entwicklungs-, Konstruktions- und Technologieunterlagen

Diese Dokumentationen und Unterlagen wurden durch eigenständige  Entwicklungsprozesse neu erarbeitet oder  stark modifiziert (Software).

 

Um die weiteren Ausführungen sachlich einzuordnen, muss unterstrichen werden, dass erst hohe Eigenleistungen aus einer Fremdinformation ein vertriebsfähiges Entwicklungsergebnis machen können.

Als  Faustformel einer Bewertung des Unterstützungseffektes kann gelten : 

"je größer die Hardware-Nähe, um so höher der Eigen- Aufwand und Anteil der Eigenergebnisse". 

Zwei Extrema sollen das deutlich machen:

  • die ESER- Unterlagen, welche systemnah zur Architektur oder den IBM/ESER- Operationsprinzipen gehörten, wurden nur soweit modifiziert, um mit ihnen in geeigneter breiter Form zu arbeiten.

  • Entwicklungs- und Fertigungsunterlagen, wie der  logische und technische Entwurf, Konstruktions- und Technologiedokumentation u.a. wurden grundsätzlich gemäß nationaler oder ESER- Vorschriften  neu entwickelt. Dazu waren vollwertige und aufwendige Entwicklungsprozesse inclusive aller  Entwicklungs- Stufen nach Arbeitsnomenklatur F/E, wie Systemkonzeption,  Logik- Entwurf , technischer Entwurf, Musterbau, Tests der Funktionsreife, Prüfung der Produktionsreife,  Überleitung usw. erforderlich.

  • Kern der Hardware- Arbeit war die Notwendigkeit, mit der verfügbaren eigenen Technologie- und  Bauelementebasis, deren Niveau gegenüber dem Weltstand ständig weiter zurückfiel, eine EDVA mit  befriedigenden Leistungsparametern zu entwerfen und mit DDR-/RGW-Material , eigener Fertigungs- und Technologie- Dokumentation zu produzieren oder im technischen Kundendienst zu arbeiten. Die DDR-/RGW- Bauelementebasis, die metrische ESER- Basiskonstruktion, eigene Fertigungstechnologie und -Equipment  usw. erforderten extrem aufwendige und schöpferische Prozesse, sowohl bei der Entwicklung und  Fertigung der Geräte selbst, als auch im breiten Einzugsgebiet leistungsfähiger Zulieferungen ( Schaltkreise, Steckverbinder, Leiterplatten , Kabel.... ). Das Alles führte zwangsläufig - für einen Fachmann wird das sofort deutlich-  zu einem komplett neuen logischen und technischen Entwurf mit eigener Konstruktion und Technologie

Ausgehend von diesem Rahmen sollen die durch Spionage- bzw. Aufklärungs-Methoden erhaltene Informationen und Produkte  bzgl. ihrer Rolle und Bedeutung im Arbeitsprozesse dargestellt und - für eine Interseite geeignet- kommentiert werden .

Durch die HVA- Unterstützung beschaffte Informationen, Unterlagen , Software und Muster zu den Prototyp- Objekten des ESER hatten in den verschiedenen Arbeitsabschnitten und auf den unterschiedlichen Arbeitsgebieten, die für eine erfolgreiche Schaffung leistungsfähiger Mainframe- und PC- Systeme erforderlich waren, eine wesentliche Bedeutung. Auf einigen Gebieten und in bestimmten Arbeitsphasen waren sie von außerordentlichem, ja grundsätzlichem Wert. Mehr noch, sie bewirkten 1968/1969 eine Art Initialzündung, bei der der DDR eine bisher wenig bekannte Schlüsselrolle zukam.

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Auf dieser Unterseite -Seite "Arbeit mit Prototyp-Unterlagen" werden auszugsweise Informationen und  Zusammenhänge kompakt dargestellt und auch wenige wertende Aussagen erfolgen. Das konzentriert sich auf: 

  • Inhalt und zum Umfang der "Unterstützung der elektronischen Datenverarbeitungs- Industrie" durch die Strukturen der HVA;
  • Einfluss der Verfügbarkeit von Prototyp- Unterlagen zum System IBM /360 auf strategische Entscheidungen in der UdSSR und der DDR, sowie Gewicht und Anteil der Unterstützung am Gesamtumfang der Arbeiten zur strategischen Planung sowie der Forschungs- und Entwicklungsleistungen am DDR- Anteil des ESER;
  • Verständnis darüber, dass die ESER-Arbeiten bei der übergroßen Zahl der Produkte in der realen Entwicklung und Fertigung -trotz der Verfügbarkeit o.g. Unterlagen- beachtenswerte kreative und schöpferische ingenieurtechnische Leistungen waren und de facto in der Größenordnung des Aufwandes einer Eigenentwicklung lagen.

Angemerkt sei, dass dem Autor keinerlei direktes Wissen zur Zusammenarbeit mit der HVA verfügbar war, jedoch eine Fülle von indirekten Informationen.

 

Die CoCom- Vorschriften und die  Military Critical Technology List ( MCTL)

 

Von der Entwicklung  der Computertechnik  in den USA und deren Verbündeten waren die DDR und die anderen RGW-Staaten bekanntlich abgeschnitten. Warenlieferungen, Wissenstransfer und Lizenzvergaben unterlagen dem durch die NATO-Staaten und Japan verhängten Embargo, welches die anfänglich noch bestehenden Möglichkeiten des Handels zwischen der DDR und der BRD schnell verdrängte. Für die Entwicklung der Volkswirtschaft war aber die Computertechnologie und elektronische Datenverarbeitung von strategischer Bedeutung. Dieses Feld der Volkswirtschaft war unter den Bedingungen des kalten Krieges daher durchaus vergleichbar mit Informationen zu Waffensystemen oder militärischen Strategien. 

Für Osteuropa bestanden die USA hartnäckig darauf, die CoCom- Vorschriften den stark ausgeweiteten Beschränkungen anzupassen, die sich die Vereinigten Staaten mit ihrer Military Critical Technology List (MCTL) zur Kontrolle ihres gesamten Osthandels verordnet hatten. Diese Liste enthielt 1986 ca. 700 Seiten sowohl mit  militärisch sensiblen Produkten, sondern auch Produktionsverfahren und einer Vielzahl von Materialien für bestimmte Technologien .

Dieses Vorgehen ordnet sich nahtlos ein in das Machtverständnis der USA, gegen alle für sie unliebsamen Entwicklungen in der Welt mit beliebigen Methoden vorgehen zu dürfen. Die CIA und andere US-Einrichtungen als Handlanger dieser Politik haben dabei nicht nur aktiv zum Sturz demokratisch gewählter Regierungen, wie Chile oder Guatemala beigetragen oder in vielen Ländern "im Namen der Freien Welt" agiert, sondern auch innerhalb der USA die Verfassung verletzt, wenn es um Macht ging. Was soll also heute noch eine einseitige rückwärtsgerichtete Schuldzuweisung gegen Aufklärungsarbeit z.B. der DDR.  

Die Staatsorgane der DDR kämpften gegen die o. a. Elemente des kalten Krieges und leisteten letztlich ihren Beitrag zum Erhalt eines Gleichgewichtes der beiden Blocksysteme- der wichtigsten Voraussetzung des  Gedeihens der immer klareren Erkenntnis der Politikführung  beider Blöcke, dass eine militärische Auseinandersetzung zur Vernichtung des Lebens auf der Erde führen würde und mit allen Mitteln verhindert werden muss!

 

Aus der Tätigkeit der HVA des MfS, ursprünglich vorrangig auf militärische Informationen orientiert, wurden daher zunehmend auch mehr "zivile" wissenschaftlich- technische Informationen und Unterlagen verfügbar, deren Nutzung durch die Industrie zunächst auf der Hand lag, später zur Strategie wurde.

Aus erster Hand sollen daher Auszüge aus dem Artikel "Die Bedeutung der Wissenschaftlich-Technischen Aufklärung der DDR" von Horst Vogel diese Zusammenhänge darstellen .

 

Inhalt und  Umfang der Unterstützung der elektronischen Datenverarbeitungs- Industrie der DDR mit Prototyp- Dokumentation: 

 

Zum Platz der Arbeiten der ESER- Teams bei der Realisierung der DDR- Beschlüsse zur Entwicklung der Rechentechnik/ Datenverarbeitung, ihrem Gewicht und Umfang  erfolgten in vielen Texten und Dokumenten dieser WEB- Site ausführliche Darstellungen. Die Darstellung der ESER- Geschichte soll hier nun ergänzt werden durch die Darstellung der Unterstützung durch Bereitstellung verschiedenartigster Unterlagen aus westlichen Industrieländern bzw. führenden Welt- Konzernen, die durch Spionage- bzw. Aufklärungs-Methoden gewonnen wurden.

Zunächst sei hier auf ESER- relevante Auszüge aus dem Artikel " Die Unterstützung der elektronischen Industrie" von Von Horst Müller und Klaus Rösener verwiesen .

 

Im ausgewählten Auszug wurden auch Aspekte der Mikroelektronik eingeschlossen, weil diese durchaus wesentlich für das Verständnis der Unterstützung, aber auch der "Technologie- Krise" der Rechentechnik sind, auch bei ESER- Arbeitsplatzrechnern und -Terminals .

 

 Aus der Sicht des Autors dieser ESER-DDR- Homepage soll hier angefügt werden :

  • Ausgangsunterlagen für strategische Planungen und Entwicklungsarbeiten standen den DDR- Entwicklern in den 60-ger Jahren in verschiedener Form  zur Verfügung, neben umfangreichen Publikationen war die IBM Deutschland für bestimmte EDVA-  Produkte auch  im offiziellen "innerdeutschen Handel" noch offen.  Jedoch  lieferten strategisch gut platzierte "HVA- Quellen" der DDR der DDR- Industrie einen deutlichen Zeitvorsprung und  eine Menge an technischen Details vor Erscheinen bzw. Einkauf eines Produktes.

  • es war für die DDR- Entwicklungsleiter- und anfangs auch für die UdSSR- Partner- extrem wichtig, über Quellen zu verfügen, die gezielte Anforderungen beliefern konnten. Damit war es möglich, selektiv aus der Fülle des Systemswissens Vorlauf zu erhalten und diesen in den DDR- Entwicklungen auch gegenüber RGW- Partnern zu verwerten.
  • beim Lesen des Artikels von H. Müller und K. Rösener könnte der Eindruck entstehen, dass im EDVA- Sektor bereits weitgehend für die Produktion verwertbare Unterlagen beschafft wurden, die noch einer gewissen "Überarbeitung" auf die DDR- Konstruktions- und Technologiebasis bedurften. Das wäre eine krasse Fehlinterpretation. Im Abschnitt "Zum Gewicht der eigenen .... Leistungen" , sowie in anderen Artikeln der Site wird dazu mehr ausgeführt.
  • die Anhängigkeit von bestimmten Informationswegen war ein nicht kalkulierbares Risiko und erforderte ständig die potentielle Fähigkeit, den begonnenen Weg auch ohne gute Fremd-Unterlagen effektiv weiterzuführen, d.h. exzellentes Systemwissen und eine ständig aktuelle eigene Entwicklungsdokumentation und eigene vollwertige Entwicklungstechnologie zu haben.

  • im o.a. Artikel wird mit einer extremen Kompression der Zeitabläufe, mittels ausgewählter Einzelfakten und daher zwangsläufig in diesem kurzen Abriss nicht annähernd vollständig berichtet. So werden z.B. bei den Ausführungen zur  Nachentwicklung des Betriebssystems  inhaltliche Zusammenhänge nicht deutlich bzw. sie sind nicht exakt Das MVS  (MVS = Operating System für Mehrfach Virtuelle Speicherräume ) stellte keinen Schwerpunkt der Entwicklungsarbeiten der DDR- Seite dar,  bis ca. 1987 wurden lediglich Vorlaufarbeiten durchgeführt. Auch danach war MVS wegen seiner Dimension und Passfähigkeit für die mittlere Leistungsklasse der DDR- Modelle nie Schwerpunkt (*) .

    • (*) Für die UdSSR kann diese Einschätzung bzgl. der Schwerpunktbildung des MVS ggfls. zutreffen.

  • im o.a. Artikel wird auch bzgl. der Entwicklungsmethodik für alle Systeme außer MVS leider keine exakte Beschreibung gegeben. Daher sei hier ausdrücklich auf den Vortrag "Zur Entwicklung der ESER- Betriebssysteme (OC-EC) in Kooperation zwischen dem NIZEWT (UdSSR) und Robotron (DDR)" des Autors verwiesen. Diese  Bemerkung wird deshalb angeführt, weil die Entwicklungsmethoden vor der Etappe "MVS" sehr viel aufwendiger ausfielen, als im Artikel grob skizziert, speziell war den DDR- Entwicklern für alle Produkte vor MVS kein Source- Code aus Fremdquellen des Prototyps verfügbar

 

Zur  Unterstützung der elektronischen Datenverarbeitungs- Industrie der UdSSR

 

Hier sei vorausgeschickt, dass uns zu den im o. a. Artikel von Horst Vogel zur Zusammenarbeit der HVA mit den UdSSR- Diensten gemachten Aussagen nur "Indizien" zugängig waren.

Als wesentlichste Information kann zunächst festgehalten werden -  abgeleitetet aus sich ergänzenden bzw. zusammenpassender Aussagen verschiedener führender deutscher und sowjetischer ESER- Manager- dass  mit hoher Wahrscheinlichkeit der Arbeitsstand der DDR-Spezialisten am Projekt R400 mit IBM /360- Orientierung  im Zeitraum 1968/69 den entscheidenden Ausschlag für die interne Entscheidung der UdSSR zur Wahl des Systems /360 als ESER- Prototyp gab. In der Darstellung der sowjetischen Gründungsgeschichte des ESER kann nachgelesen werden, welche enormen Schwierigkeiten in der UdSSR bestanden, um zu dieser Prototyp- Wahl zu gelangen ( siehe  Historischer Abriss des Generalkonstrukteurs des ESER). 

Die DDR- EDVA- Fachleute von ELREMA Karl- Marx- Stadt hatten damals Zugriff auf eine Reihe von IBM-Importtechnik und verfügten über umfangreiches IBM -Originalmaterial. Damals konnte den UdSSR- Spezialisten das entscheidende know- how zur Gewinnung des Quellcodes der IBM -Betriebssysteme vermittelt werden. ( siehe dazu auch eine Darstellung  der UdSSR - Seite  und die Ausführungen zur Zusammenarbeit UdSSR /DDR im Artikel  Zusammenarbeit der sozialistischen  Länder )

  •  "Ohne Existenz dieser "Schlüssel- Technologie" am Start der Zusammenarbeit würde das ESER wahrscheinlich so nicht bestehen" (Zitat des Generalkonstrukteurs des ESER V.V. Prschijalkowskij).
Wichtiger war aber wohl noch der Fakt, dass gemäß Bericht von Horst Müller und Klaus Rösener die DDR über stabile Informationsquellen bei IBM verfügte, die das Risiko der Abhängigkeit auch für die UdSSR stark relativierten.

Weiterhin ist aus verschiedenem Material zu schlussfolgern, dass im Verlaufe der Zeit der Charakter der Zusammenarbeit mit der UdSSR immer stärker kommerziellen Interessen unterworfen wurde, wobei die Dienstleister der UdSSR- Industrie offenbar zunehmend über anderes, eigenbeschafftes Quellenmaterial verfügten, was u.a. zu zusätzlichen Belastungen bei Systemabstimmungen führte. 

Die zeitlichen Abläufe der Zusammenarbeit der HVA mit den UdSSR- Diensten zum ESER- Prototyp erfolgten für den Außenstehenden mindesten in drei Phasen:

  • direkte Weitergabe aller einschlägigen Informationen von DDR- Quellen,

  • Weitergabe von Informationen, deren Verwertung in der DDR nicht sinnvoll / möglich war

  • Blockierung der Weitergabe von technischen Unterlagen oder Source- Code, deren kommerzielle Verwertung durch die DDR- Industrie geplant war bzw. erfolgte, sowie Kostenverrechnung für Dokumente, deren Verwertung in der DDR nicht sinnvoll / möglich war.

Dieser Ablauf wurde gesteuert oder beeinflußt durch die Entwicklung des politischen Klimas zwischen den Politik-Verantwortlichen beider Staaten, besonders ab der Perestroika- Phase, und der zunehmenden Kommerzialisierung aller Beziehungen zur UdSSR.

Unter welch komplizierten und für die Systementwicklung des ESER risikobeladenen Bedingungen diese Prozesse zusätzlich verliefen, wurde erst nach 1990 in verschiedenen Publikationen, die vorrangig durch Überläufer des KGB geliefert wurden, öffentlich publik [siehe z.B. Mitrochin/Andrew "Das Schwarzbuch des KGB", Operation Farewell / Überläufer Wetrow W. u.a. ].

Zum Gewicht der eigenen schöpferischen ingenieurtechnische Leistungen

 

Der Wert des /360 Systemkonzeptes wurde in verschiedenen Quellen das "4 Milliarden $- Projekt" der IBM genannt.

Profitiert davon haben neben IBM selbst verschiedene Firmen, wie Amdahl, Fujitsu, Siemens , CDC usw.

Der "Wert" der "/360 - Systemanleihe" sollte daher bzgl. des ESER eher als Marktaufbereitung des RGW- Marktraumes gesehen werden.

 

Einige weitere Gedanken zum Gewicht der eigenen schöpferischen Ingenieur Leistung:

 

Die o.g. Faustformel  "je mehr Hardware-Nähe, um so größer der Entwicklungs-Aufwand und Anteil der Eigenergebnisse" spiegelt vorrangig den Umstand wider,

  • dass in der Phase des kalten Krieges bei allen Arbeiten zur Entwicklung von Gerätetechnik( logischer Entwurf, Konstruktionsunterlagen, Technologie, technische Erprobung usw.) sowohl die grundsätzlichen Unterschiede bei Standards, elektronischen Bauelementen, technologischen Möglichkeiten der Fertigung usw. zu berücksichtigen waren (siehe z.B. die Ausführungen zur Basiskonstruktion ) , als auch

  • eine hochgradige Sicherheit zu gewährleisten war, unabhängig von jeglichen Importen aus  westlichen Staaten auch für den Fall erhöhter politischer Spannungen und daraus abgeleiteter Handelsrestriktionen über längere Zeit stabil zu produzieren und den technischen Service zu beherrschen.

Daher kann man sagen , dass der Unterstützungsgrad "UG" - sofern man ihn als  "UG" =  [Wert des einschlägigen Quellenmaterials für ein Entwicklungsprojekt] / [Gesamt-Wert aller Leistungen für Entwicklung und Fertigungsvorbereitung] definiert -  bei Hardwareprojekten höchstens 20% war und vorrangig von der Qualität eventueller Unterlagen zum technischen Feinentwurf (Logikentwurf) abhängig war.

 

Bei Betriebssystemen erfolgte bis zum Abschluss der Arbeiten am OC/ SVS eine aufwendige und tiefgreifende Entwicklungsarbeit. Die Regeln der Entwicklungsmethodik- Stufe 1-  definierten die Erfordernisse der absolut sicheren Beherrschung der Systeme in der breiten Anwendung (Systemverträglichkeiten mit nichtkompatiblen Geräten, schnelle Reaktion und Bearbeitung von Fehlern und Funktionsabweichungen ) und die Sicherheit vor gezielt platzierter Schadenssoftware im Ausgangsmaterial. Neben der Reassemblierung der Quell- Sources aus kompilierten IBM-Systemen bestimmten diese Erfordernisse die Entwicklung . Das bedeutete defacto einen Aufwand in der Größenordnung von ca. 50% des Aufwandes einer Eigenentwicklung .

Aussagen wurden dazu auch im bereits o.a. Beitrag Zur Entwicklung der ESER- Betriebssysteme (OC-EC) " publiziert. 

 

In der Entwicklungsphase für das OC/ MVS wurde gemäß Entwicklungsmethodik- Stufe 2-  die Systementwicklung vom Aufwand für Schutzrechtsanpassungen weitgehend entlastet und auf die Sicherung substantieller Eigenschaften für definierte Nutzer konzentriert: Konfigurationsanpassungen für ESER- Peripherie, Sicherung schneller Reaktion und Bearbeitung von Fehlern und Funktionsabweichungen durch vollständiges Systemwissen; Sicherheit vor gezielt platzierter Schad-Software .

Das bedeutete eine Aufwandsreduzierung der Eigenleistungen und einen UG in der Größenordnung von ca. 60- 75% des Aufwandes einer Eigenentwicklung. Dieser Effekt wurde erst gegen Ende der ESER- Arbeiten erschlossen und war kommerziell nicht mehr nutzbar. 

 

 

Wertung der ESER- Prototyp- Politik

  • die Prototyp-Orientierung ermöglichte  erst die zielgerichtete insgesamt erfolgreiche ESER- Entwicklung und die praktizierte Form der Arbeitsteilung.
  • die IBM /360 /370 – Basis war als internationale Autorität unabdingbar in der Konfrontation verschiedener „eigener Schulen“ und Konzepte , besonders in der UdSSR
  • die Prototyp- Basis erhöhte die Sicherheit von Systementscheidungen und logischen Teillösungen außerordentlich und senkte  den Konzeptions- und Entwicklungsaufwand deutlich. Die wesentlichsten Effekte der Unterstützungen durch Prototyp- Unterlagen wirkten sich auf die Software- Entwicklung aus.
  • ein hoher Teil des Gesamtumfanges der Softwareentwicklung (ca. 50%) war trotz Unterstuetzung mit Fremdunterlagen  vergleichbar mit dem Aufwand einer Eigenentwicklung
  • der für eine technologisch stabile Entwicklung der Produktlinie erforderliche Grad der unbedingten Beherrschung aller Produktteile  (incl. Bearbeitung von Funktionsabweichungen, Fehlern und Umgehungslösungen) erforderte hohen Personal- Aufwand,
  • im Hardware- Bereich bestand eine vollständig unabhängige Entwicklungstechnologie für den Logikentwurf, technischen Entwurf, Fertigungs- und Serviceunterlagen, Technologie- Ausrüstungen usw. Das Entwicklungsergebniss wurde inhaltlich stets zu 100% beherrscht.
  • im Softwarebereich beherrschten die großen  Teams von ESER- Entwicklern im KR (E2, E4) und auch des Kooperationspartners NIZEWT  die Software- Produkte gut und erzielten „Vertriebsqualität“
  • die Volkswirtschaft der Länder profitierte vorrangig aus der vielfältigen Nutzbarkeit von Anwendungslösungen für IBM/ 360 /370 ( und SIEMENS)
  • ESER-Technologie und know- how waren bei Wegfall von Prototyp- Basismateriel  potentiell zur nahtlosen  eigenständigen Weiterführung der Arbeiten geeignet (potentielle Unabhängigkeit) und somit "nachhaltig".

 

Rückblick

 

Das rasante Tempo der Entwicklung von IT- relevanten Hochtechnologien im Weltmassstab machte ab ca. 1985 enorme Probleme, der Leistungsentwicklung der führenden IT- Technik zu folgen. Für alle Fachleute waren die zunehmenden extremen Anforderungen klar, die die VLSI- Integration, Supertechnologien bei Plattenspeichern, neuartige Bildschirmtechnologien, LAN/ WAN - Netze und vieles mehr stellten. 

Hinter dem Embargo- Vorhang entwickelte sich die Wirtschaftsintegration der ESER- Länder zusätzlich in einer steilen Abwärtsspirale.

 

Aber auch die Firma IBM machte eine deutliche technologische Krise durch, denn die Logik der IBM-EDVA war jahrelang sehr schlecht für VLSI-Projekte geeignet und ohne aufwendige hochkomplizierte Keramikmoduln (TCM) nicht weiterzuentwickeln. 

Auch in der UdSSR bestand seit ca. 1985 eine extreme EDV- Technologiekrise, die Mikroelektronik- Industrie ( in Selenograd, Voronezh..) war total zersplittert und stagnierte auf einem Niveau bei ca. 1µm Strukturbreite ...  . 

 

Der Bereich der DDR- EDV- Entwicklung war daher darauf vorbereitet, die nächste Generation der DDR- EDVA - EC 1150 - und die Zusatzlogik von Personalcomputern mit CMOS- VLSI- Schaltkreisen aus Eigenentwurf mittels der Master- Slice - Technologie des ZMD Dresden zu entwickeln ( siehe dazu auch Vorlaufarbeiten.htm ). Die Unterstützung mit Fremdunterlagen für die EDV- Hardware wäre für diese Etappe deutlich weniger abhängig geworden, für andere Bereiche, z.B. der Mikroelektronik sicher nicht!

 

Das alles war zum Ende der DDR eine partielle Lösung, eine Art Ausdauerstrategie, die im Niedergang des Wirtschaftssystems ausschließlich eine zeitlich begrenzte Chance für UdSSR- Export und Eigenbedarf boten.  

 

Das strikte Embargo, das jede weltweite Arbeitsteilung ausschloss, gepaart mit der  stürmischen technologischen Revolution und Globalisierung, ,trugen zum bekannten Zusammenbruch bei. 

Die  Systemkonfrontation unter den Bedingungen des kalten Krieges führte aber vor allem zu einem ideologischen Zusammenbruch der politischen Realität, unter der in der UdSSR und Osteuropa eine sozialistische Ordnung aufgebaut werden sollte. 

Durchaus bemerkenswerte, über Jahrzehnte hochwertige Leistungen der Industrie- Kollektive, aber auch der Mitarbeiter des "Sektor Wissenschaft und Technik" konnten derartige  Abwärts- Entwicklungen nicht  wirklich beeinflussen....


 
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